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Armutsgrenze neu


Beginnen wir mit Zahlen betreffend Österreich und Asylanträge:

2009: 15.821
2010: 11.012
2011: 14.416
2012: 17.413
2013: 17.503.
2014:  Knapp über 28.000.

Das sind keine Zahlen, die es noch nie gab, zur Ergänzung: 2001: 30.127 Anträge, 2002: 39.354, wobei hier noch über 16.000 dazu kommen, die in Islamabad bei der österreichischen Vertretung eingegangen sind. Steht alles hochoffiziell auf der Seite des BfI.

Wenn der Aussenminister ein Interview gibt, wird daraus „Die letzten Jahre gab es 20.000 Asylanträge, letztes Jahr 30.000, heuer werden es 70.000 sein.“ Erst kürzlich haben wir die politische Nachwuchshoffnung aus der österreichischen Ministerriege hören dürfen bezüglich dieses Themas. Hut ab. Das ehemalige Talent hat seine Meisterprüfung offenbar mit Bravour abgelegt, ist im echten politischen Leben angekommen. So viel Opportunismus, Zynismus und insgesamt groben Unfug hat man wirklich lange nicht mehr vernehmen dürfen. Der Begriff Solidarität ist einige Male gefallen: Dabei ging es vor allem um die Solidarität aller Mitgliedsländer der EU mit so armen Ländern wie Österreich, die ach so viele Flüchtlinge aufnehmen, dass sogar welche in der Slowakei zwischengelagert werden müssen. Hier meint er, dass man doch sehen müsse, dass die Zahl der Flüchtlinge zu hoch ist und also alles ganz normal. Keine Verlagerung, sondern eine gerechtere Verteilung. Bei solchen Sätzen schnappt man fassungslos nach Luft. Solche Politiker müssen damit leben, dass es ganz normal ist, dass man sie nicht nur nicht mehr ernst nehmen kann, sondern sie in Anbetracht der Umstände auch nicht mehr mag. Richtig, jene Länder der EU müssen ein paar hinter die Löffeln kriegen, die ihre Flüchtlingspolitik nicht wahrnehmen und verweigern. Aber Solidarität mit Flüchtlingen? Die Grenzsicherung muss besser werden. Der Minister spricht davon, dass jetzt schon über die Zukunft gesprochen werden muss, das bedeutet: Sicherheitsbedrohung. Und dass in den Krisengebieten geholfen werden muss, damit es keinen Grund gibt, hierher kommen zu wollen.

Was jetzt gerade geschieht, ist aber auch noch da, das hat er wohl vergessen. Gerade jetzt sind Flüchtlinge hier, und gerade jetzt stehen hunderte Immobilien in diesem arroganten, jodelnden und chauvinistischen Land leer und hängen voller Spinnweben, aus Spekulationsgründen oder warum auch immer. Menschen befinden sich im Jahr 2015 in Österreich und haben Hunger. Nicht nur kein Dach überm Kopf, sondern auch Hunger. Ein anderes Zitat: „Es gibt Länder wie Österreich, die unter dem Flüchtlings- und Migrationsdruck sehr leiden“, um im selben Interview zu sagen, „Österreich ist mit Flüchtlingen übersolidarisch“, das ist kein schlechter Scherz, keine Erfindung, das ist genau so gesagt worden, von der Innenministerin übrigens auch. Eine Frau in einem burgenländischen Schwimmbad kommentiert die Tatsache, dass in ihrem Ort keine Flüchtlinge leben, mit „Da haben wir Glück gehabt“, die Nachfrage, wo das Problem liegen könnte, sollten welche kommen, mit „Waaß a net“, so viel zur Argumentationslage. Andere hätten gesagt, dass es in den Kindergärten und Schulen schwierig wäre und die Kinder nicht so viel lernen würden, wenn Flüchtlingskinder anwesend wären. Man müsste tatsächlich gut überlegen, Kinder in Einrichtungen zu schicken, wo Kinder von Leuten sich aufhalten, die so einen Müll verbreiten.

Frauen und kleine Kinder schlafen unter freiem Himmel und in Autobussen. Es gibt Probleme mit der Essensversorgung von ein paar hundert oder tausend Menschen, gleichzeitig werden in diesem Land täglich mehrere Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Menschen werden in Haft genommen, weil Formalitäten unklar sind. Menschen wird vorgeworfen „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu sein. All diesen Menschen wird insgesamt grundsätzlich vorgeworfen, hierher gekommen zu sein, anstatt sie zu begrüßen. Die User-Foren auch sogenannter liberaler Zeitungen bringen so viele Grausamkeiten zu Tage, dass man meint, es handle sich um ein Theaterstück in Erinnerung an die Ereignisse der Nazizeit. Es ist unerträglich. Die Armutsgrenze ist in allen Belangen weit unterschritten, ideologisch, menschlich, geistig sowieso. Nun manifestiert sich dies alles. All die mentale Armut, Unfähigkeit und Niedertracht dieses Landes kommt zu Tage in Anbetracht der Notsituation einiger weniger Menschen, die wirklichen Katastrophen entkommen sind.

Der steirische Landeshauptmann erzählt in einem Interview, dass aufgrund der Flüchtlingslage „wir alle darunter leiden“. Im Landhaus in Graz? Oder bei ihm zu Hause? Näher hat er das nicht erklärt, und die meisten Menschen, scheint mir, leiden durchaus nicht. Ein pensionierter konservativer Politiker, der gerne als bunter Hund bezeichnet wird – warum auch immer - meint, dass wir zuviel mit Schuldzuweisungen arbeiten und nicht alle, die Besorgnis äußern, ins rechte Eck schieben dürfen. Wie etwa einen sozialdemokratische Bürgermeister im Osten, der die Quote nachweislich am wenigsten erfüllt, dies leugnet und gleichzeitig mit blau koaliert? Mit Verlaub, ins rechte Eck kriechen solche Leute schon selbst, und den Teufel werden „wir“ sie dort wieder rausholen, aus diesem dreckigen Winkel müssen sie schon selbst wieder hervorkriechen. Dann, wenn es finster wird. Nach den nächsten Wahlen, die gewiss verloren gehen, weil ohne klare Standpunkte Wahlen nicht zu gewinnen sind, lesen Sie nach bei Chantal Mouffe, „Über das Politische, Wider die kosmopolitische Illusion“, Edition Suhrkamp. Die aktuellen verschwommenen Standpunkte lauten: Verantwortung wie eine heiße Kartoffel durch die Gegend werfen, dem Konjunktiv frönen und allen anderen die Schuld zuweisen dafür, dass Österreich als eines der reichsten Länder es sich erlaubt, das schlechtest mögliche zu tun wenn es darum geht, Menschen zu helfen und Flüchtlinge unterzubringen. Die Kirche? Auf Sommerfrische, ist vielleicht aber auch besser so. In den Pfarrhöfen gibt es zwar ein wenig Platz meist, aber wahrscheinlich zu wenig Katholiken unter den Flüchtlingen. Die Caritas wird wohl bald aus der Kirche austreten. Das Resultat werden aber alle ausbaden können. Es sind nicht die momentanen Zustände, die als das eigentliche Problem darstellen. Im Vergleich nehmen wesentlich ärmere Länder wie Jordanien oder der Libanon die hundertfachen Mengen an Flüchtlingen auf, Österreich misst sich aber gerne mit jenen, mit denen es mithalten kann. Wäre Österreich ein Stabhochspringer, würde es sich mit einem Torso duellieren.

Das Problem wird sich hinterher stellen. Dann, wenn es zu spät ist, den Leuten die Leviten zu lesen und hochoffiziell zu erklären, dass es ein Grundrecht auf Asyl gibt und ein so reiches Land wie Österreich Flüchtlinge bedingungslos zu begrüßen hat, nicht zuletzt aufgrund der eigenen Geschichte. Dann, wenn die Blödheit sich durchgesetzt haben wird und die sinnentleerte rechte Hetzfraktion wieder Regierungsämter bekleiden wird. Es wird sich ein weiteres Mal - hoffentlich rechtzeitig - bestätigen, dass sie dazu nach wie vor nicht in der Lage ist, alle gehen zurück an den Start und sehen sich hoffentlich im Spiegel wie einst Pinocchio mit riesigen Eselsohren. Die Spiegelbilder werden aber aufgrund der gewachsenen Nasen sehr weit entfernt sein, nicht wegen Lügen, die sie verbreiten, sondern aufgrund der einzigen systemimmanenten Lüge, nämlich zu behaupten, sozialdemokratisch oder christlich-sozial zu sein. Politisches Überleben scheint wichtiger zu sein als der Anspruch an sich selbst, verantwortungsvoll Menschen helfen zu wollen. 

Es könnte aber auch wesentlich unangenehmer werden. Wer hätte gedacht, dass jemand wie Victor Orban so entspannt und von der EU geduldet die Demokratie sukzessive demontieren darf? Ungarn ist unser Nachbarland, also warum sollte so etwas nicht bei uns auch funktionieren? Die Zuversicht beruht leider ausschließlich in der Wahrscheinlichkeit der absoluten momentanen Unterbelichtung der rechten Fraktion, auf internationale Korrektive kann nicht gezählt werden, dazu ist die Hanglage in Europa bereits viel zu weit rechts. Jean-Claude Juncker begrüßt Orban mit „Diktator“. Das sollte witzig sein. Es beweist lediglich, dass es keine große Diskrepanz zu geben scheint zwischen Europa und einem rechtsradikalen Idioten. Gäbe es eine, müsste mit Ungarn – rein politisch – so verfahren werden, dass der wirtschaftspolitische Umgang mit Griechenland im Vergleich dazu wie ein Wohlfühlseminar erscheint. Aber Österreich und die EU retten lieber Banken als Menschen, betrachten Grundsatzdiskussionen mit linken Regierungen um konservative Finanzpolitik als Aufmüpfigkeit und treten Menschenrechte täglich mit Füßen. Menschlich ist dieses Land im Moment ein Scheissland in einem Scheisseuropa, diplomatischer oder freundlicher kann man es zur Zeit nicht beschreiben.

Bild: Karl Glatt - Flüchtlinge
commons.wikimedia.org/wiki/File:Karl_Glatt_Fl%C3%BCchtlinge.jpg?uselang=de

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[Artikel/Walter Schaidinger/17.08.2015]





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